Samstag, 3. Dezember 2022

Lernen, Lesen und Schreiben für die Menschlichkeit - der Humanismus und die Bibliothek in Schlettstadt / Sélestat (aktualisiert)

Cover des Buches über die "Bibliothèque Humaniste":
Foto der völlig umgebauten und durch ein
Foyer erweiterten Humanistenbibliothek -
darunter Druckseite eines Buches der Ausstellung

Die Humanistenbibliothek in Schlettstadt / Bibliothèque Humaniste à Sélestat ist ein ungewöhnlicher Schatz von mittelalterlichen Manuskripten und Drucken des 15./16. Jahrhunderts. Sie befinden sich in einem Gebäude aus dem 19. Jahrhundert, das seit 2011 völlig umgebaut wurde. So lädt der großzügig gestaltete Innenraum zu einer Reise in die Vergangenheit ein. Sie ist zugleich eine Begegnung mit dem Humanismus am Ausgang des Mittelalters.


Ausstellungssaal mit Präsentation der Kostbarkeiten
- Forschungsabteilung im Hintergrund = der originale alte Buchbestand
(Vgl.: Bibliothèque Humaniste)
Forschungsabteilung mit der Beatus-Bibliothek


Beatus zum Studium in Straßburg (1507-1511) und als Korrektor in der Druckerei (Bibliothèque Humaniste)

Die seit dem Mittelalter bestehende  bedeutende Lateinschule der Freien Reichsstadt Schlettstadt wurde durch das vom Humanisten Beatus Rhenanus (= der rheinische Beatus - eigentlich: Beat Bild --- 1485-1547) berühmt. Es entwickelte sich zu einem spannenden europäischen Kommunikationszentrum zwischen den Niederlanden und Italien. Beatus studierte in Paris, Straßburg und Basel, wo er wichtigen Lehrern der Geistes- und Naturwissenschaften begegnete. Auch machte er eine Buchdruckerlehre. Während seiner Zeit in Basel arbeitete er nicht nur als Philologe und Philosoph, sondern auch als Lehrer und Konrektor. 1523 hatte ihn bereits Kaiser Karl V. in den Adelsstand erhoben. Beatus verließ Basel 1527, weil sich die Stadt der Reformation angeschlossen hatte und der vermittelnden Linie des Erasmus nicht folgte. Er kehrte nach Schlettstadt zurück, das anders auch als Straßburg altgläubig geblieben war. Aufgrund seines bisherigen Lebenslaufes wurde er allerdings immer wieder verdächtigt, insgeheim doch mit der Lehre Luthers zu sympathisieren. 
In seiner Heimatstadt kümmerte sich der Humanist u.a. um die Herausgabe von philosophischen und historischen Büchern - auch als Drucker-Korrektor bei den Nachfolgern des berühmten Buchdruckers Johannes Mentelin (um 1410-1478).  

Adelsbrief von Kaiser Karl V. für Beatus


Schlettstadt im späten Mittelalter: Kirche St. Georg, daneben die Lateinschule,
vor der Kirche das Stadthaus der Abtei Ebersmünster
(Modell in der Humanistenbibliothek Schlettstadt)

Einige bekannte Schüler der Lateinschule außer Beatus Rhenanus


Jakob Wimpfeling und seine Schüler im Gespräch mit  dem Theologen Thomas Murner (wikipedia)

Maximilian I. wurde von einigen Schlettstädtern beraten (wikipedia)

Die stürmisch sich entwickelnde Reformation der Kirche - von vielen Humanisten zuerst begrüßt -  spalteten diese allerdings bald in Befürworter und Gegner Martin Luthers. Sie wandten sich zum Teil auch deshalb von der reformatorischen Lehre ab, weil diese mit zunehmenden gewalttätigen Konflikten verbunden war. Berühmtestes Beispiel ist neben Beatus Erasmus von Rotterdam, der 1514 in Schlettstadt zu Besuch weilte und von dem geistigen Leben dort begeistert berichtete. 
Erasmus war im Blick auf die weitere reformatorische Entwicklung von der Sorge bewegt, dass durch diese Konflikte die gemeinsame Kultur Europas auseinanderbrechen könnte.

Vgl.: Cornelis Augustijn: Erasmus. Der Humanist als Theologe und Kirchenreformer. Leiden: Brill 1996 - Inhaltsverzeichnis und Leseprobe

Der Kontext:
Die wirkungsgeschichtlichen Bedeutung
des Humanismus
Reuchlin setzte sich vehement gegen die Verbrennung von Büchern in hebräischer Sprache ein und setzte damit ein Zeichen für Toleranz. Berühmt - und natürlich höchst umstritten - wurde seine Schrift "Der Augenspiegel"  (1511).

Die Entstehung der Humanistenbibliothek

Beatus Rhenanus (wikisource)
Als Beatus Rhenanus 1547 starb, hinterließ er seine beeindruckende Büchersammlung der schon existierenden Stadtbibliothek. Mit den bisher erfolgten Stiftungen war damit der Grundstein für die 1552 eingerichtete Humanistenbibliothek gelegt.
Sie wurde im 19. Jahrhundert zu einer europaweiten Attraktion.
Seit 2011 ist sie als Weltkulturerbe bei der UNESCO eingeschrieben.

Das Gymnasium der Stadt trägt den Namen dieses großen Humanisten; und eine Brücke über den Rhein von Straßburg nach Kehl ist ebenfalls nach ihm benannt.
In seiner Person symbolisiert sich Europa als gemeinsame kulturelle Weltregion.



Mehr zur Geschichte der Humanistenbibliothek >>>



Erasmus von Rotterdam: Vollständige Ausgabe des Neuen Testaments - griechisch und Latein,
gedruckt in Basel bei Johann Froben 1516 (Bibliothèque Humaniste)
Erasmus von Rotterdam:
In Novum Testamentum annotationes ...
mit dem Vorwort der Erstausgabe von 1516.
Basel: Johann Froben und Nicolaus Episcopius 1555
(InterReligiöse Bibliothek, IRB)

Die Apophtegmata des Erasmus von Rotterdam,
 Basel: Nicolaus Episcopius 1565
(InterReligiöse Bibliothek, IRB)


Predigten und verschiedene Abhandlungen des berühmten Straßburger Münsterpfarrers
Johann Geiler von Kaysersberg (1445-1510) - bei Johann Grüninger in Straßburg gedruckt 1518
(Bibliothèque Humaniste)
Mystische Abhandlung des Basler Franziskaner Otto von Passau (gest. nach 1383),
Ausgabe von 1430 (kopiert von Jacques Leistenmacher,  Schlettstadt)
--- Bibliothèque Humaniste ---
Antiphon - Liturgiebuch des Bischofs Amalarius von Metz (um 800) --- Bibliothèque Humaniste
Renaissance und Humanismus: Epochen neuer Weltentdeckung: astronomische Geräte
(Bibliothèque Humaniste)
Sonnen-Quadrant zur Zeitmessung (1507) - Behältnis mit Zeichengerät
für die Zeitbestimmung (1587) (Bibliothèque Humaniste)


Ehemalige Eingangsseite der Humanistenbibliothek mit den Wappen der Stadt: Adler und Löwe









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