Sonntag, 10. März 2019

Muhammad al-Ghazali (1058-1111): Aristotelische Philosophie, Rechtsetzung des Glaubens, Mystik und vernunftgemäße Theologie

Haruniyah (nach Harun al-Rashid benannt) in TusIran.
Das Mausoleum von Al-Ghazali am Eingang dieses Gebäudes
(wikipedia.en)
Abū Ḥāmid Muḥammad ibn Muḥammad
al-Ghazālī (auch al-Gazali, al-Ghazazali, latininisiert: 
 Algazel oder Algazelus)
ist einer der berühmtesten Theologen, Juristen und Mystiker des sunnitischen Islam. Er stammte aus Tus bei Meshed, dem heutigen Iran. 


Mehr zu seinem Leben und Werken: hier

Al-Ghazali spielt innerhalb der islamischen theologischen Tradition geradezu eine Schlüsselrolle, weil er als 
Mujaddid, als Erneuerer des Glaubens gilt. Nach einem Hadith des Propheten Mohammed erscheint ein solcher Mujaddid einmal in einem Jahrhundert, um durch eine Reform der umma, der islamischen Gemeinschaft, wieder herzustellen.
Die Tendenz in al-Ghazalis Werken zeigt sich so, dass er die spirituelle Glaubenstradition als erkrankt betrachtet, weil die Muslime die spirituelle Seite der Religion (= des Islam) vernachlässigt und vergessen hätten. Mit seinem großen Werk 
Ihya 'ulum al-din (= 
"Die Wiederbelebung 
der religiösen Wissenschaften")
versuchte er diesem Vergessen
entgegen zu steuern. 
Persisches Manuskript von al-Ghazali:
Das Elixier der Glückseligkeit.
Bibliothèque nationale de France
(BnF Paris, wikipiedia.en)

Das führte auch zu einer teilweise recht polemischen Auseinandersetzung mit den Philosophen, besonders in seinem Werk Tahafut al-Falāsifa ("Inkohärenz / Unstimmigkeit der  Philosophen). Damit waren zum einen die griechischen Philosophen wie Aristoteles und Plato gemeint, zum anderen auch die islamischen Denker. Al-Ghazali war darum einer der schärfsten Gegner der Mu'taziliten. 
Averroes / Ibn Rushd
hat sich gegen
al-Ghazali stark aristotelisch positioniert. Diese intensive Debatte führte übrigens auch dazu, dass die Geschichte der Philosophie im Kontext von Vernunft und Offenbarung insgesamt erheblich vorangetrieben wurde. Hier lassen sich sogar viele Einflüsse in die christliche Philosophie des Mittelalters nachweisen. Aber ebenso wenig darf vergessen werden, dass Al-Ghazalis Betonung der Spiritualität des Islam auch eine Nähe zur Mystik spüren lässt, obwohl seine Abwehr der Philosophie und eine sich anbahnende Verrechtlichung des Glaubens sehr deutlich werden.


"Ghazali ist davon überzeugt, wenn sich die menschliche Vernunft in Form von Argumenten zeige, „die evident sind und nicht angezweifelt werden können“, dann müsse man Schlussfolgerungen gelten lassen. Dann könnten sie ebenso wenig als falsch erachtet werden wie die göttliche Offenbarung. Sollte sich beides widersprechen, müsse der Koran im übertragenen Sinn interpretiert und symbolisch für eine tiefere Wahrheit gelesen werden.
Trotz der grundlegenden Anerkennung durch fast alle nachfolgenden Gelehrten blieb Ghazali nicht ohne Gegner. Der Andalusier Ibn Ruschd, in Europa als Averroes bekannt, verfasste rund hundert Jahre später ein Buch, das wiederum Mängel und Fehler in Ghazalis Philosophie-Kritik aufzeigen sollte. Schon Ibn Ruschds berühmter Lehrer Ibn Tufayl hatte sich gegen Ghazali gewandt.
Er warf ihm sogar Opportunismus vor:

Mit den Aschariten ist Ghazali Ascharit, mit den Sufis Sufi, mit den Philosophen Philosoph.
Aber Ibn Tufayl und Ibn Ruschd gelang es nicht, die reine philosophische Lehre im Islam gegen die Kritik Ghazalis und gegen die politischen und gesellschaftlichen Umstände ihrer Zeit weiter aufrecht zu erhalten."
(Thomas Bauer: Die Vertreibung der Philosophie aus dem Islam. Deutschlandfunk, 09.02.2012)


Zwischen Offenbarung und Glaubenstradition, zwischen Vernunft und Wunder bewegt sich somit  al-Ghazalis Denken. Er versuchte damit in besonderer Weise intensive Spiritualität und islamische Lebenspraxis unter durchaus vernünftigen Kriterien zu verbinden.

Aus der  Dynamik seines kosmologischen Verständnisses lassen sich auch die human-ethischen Werte ableiten. Sein Monotheismus führt ihn konsequent zur Ablehnung aller Idole hin zu einer hohen Abstraktion bei der Rede von Gott.
Vom Beginn der Schöpfung an sieht al-Ghazali das Wunder der göttlichen Offenbarung al-Ghazali wesensmäßig in der inneren Seelen-Natur gespiegelt. Das Handeln Gottes bringt er dabei zum Ausdruck im Kontext von bearbeiteter griechischer Rationalität und mystischer Evidenz sowie einer Begrenzung der menschlichen Willensfreiheit durch die göttliche Prädestination.

 
Frank Griffel von der Yale University hat dies besonders deutlich gemacht:
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Texte von al-Ghazali (kleine Auswahl): 
  • Abu-Hamid Muhammad Ibn-Muhammad al-Gazzali:
    Das Elixier der Glückseligkeit.
    Aus den persischen und arabischen Quellen
    in Auswahl übertragen
    von Hellmut Ritter.
    Mit einem Vorwort
    von Annemarie Schimmel
    DG 23. Köln: Diederichs [1959],
    1984, 3. Aufl., 223 S.
  • Das Kriterium des Handelns.
    Mizan al-'amal.
    Aus dem Arabischen übersetzt
    mit einer Einleitung, mit Anmerkungen und Indices herausgegeben von
     'Abd-Elsamed 'Abd-Elhamid Elschazli
    Darmstadt: WBG 2006, 349 S., Index
  • Islamische Ethik. Nach den Originalquellen
     übersetzt und erläutert. Hefte I-IV:
    --- Heft I: Über Intention, reine Absicht
         und Wahrhaftigkeit (37. Buch)
    --- Heft II: Von der Ehe (12. Buch)
    --- Heft III: Erlaubtes und verbotenes Gut (14. Buch)
    --- Heft IV: Vom Gottvertrauen (35. Buch)
    Nachdruck der Ausgabe:
    Halle/S.: Niemeyer 1916/1917/1922/1940
    Hildesheim u.a. Olms 1979
  • Al-Munqid Min Adalal. Erreur et délivrance.
    Traduction française avec introduction et notes par Farid Jabre.
    Beyrouth: Commission Libanaise pour la traduction des Chefs-d'Oevure 1969, 122 S.
    (français-arabe)
  • Al-Rad al-Janil li Ilahiyat Issa Bi Sarih al Injil.
    Réfutation excellente de la Divinité de Jésus Christ,
    Contestation de la Trinité et Fondement théologique
    du dialogue islamo-chrétien
    Paris: Publication de la Radio du Monde Arabe (RMA) 1988, 62 pp. (français-arabe) 


  • The Incoherence of the Philosophers.
    A parallel English-Arabic text,
    translated, introduced, and annotated
    by Michael E. Marmura.
    Provo (Utah, USA):
    Brighan Young University Press
    1997, XXVII, 261 pp., index
  • The 99 Beautiful Names of God - al-Maqsad al-asna fi sharh asma' Allah al-husna.
    Translated with Notes by
    David B. Burrell
    and Nazih Daher.
    Cambridge (UK): The Islamic Texts Society
    1992, X, 205 pp., index


Weitere Literaturhinweise
  • Massimo Campanini zu al-Ghazali
    in: ghazali.org - a virtual online library 
  • Massimo Campanini: Al.Ghazali and the Divine
    London: Routledge 2018, 154 pp.
  • Timothy J. Gianotti: Al-Ghazali's unspeakable doctrine of the soul.
    Unveiling the Esoteric Psychololgy and Escatology of the Ihya.

    Brill's Studies in Intellectual History, vol. 104.
    Leiden: Brill 2001, 205 pp., index
  • Farid Jabre: La notion de certitude selon Ghazali.
    Dans ses origines psychologiques et historiques.
    Publications de l'Université Libanaise.
    Section des Études philosophiques et sociales, vol XVIII
    Beyrouth 1986, 2e édition, XXIV, 559 pp.
  • UNESCO (dir.): Ghazâli - la raison et le miracle. 

    Table Ronde UNESCO,
    9-10 décembre 1985

    Islam d'hier et d'aujourd'hui vol. 30.
    Paris: Maisonneuve et Larose 1987, XXV, 197 pp.
  • Bülent Ucar / Frank Griffel (Hg.):
    900 Jahre al-Gazalī 
    im Spiegel der islamischen Wissenschaften.
    V
    eröffentlichungen des Instituts für Islamische Theologie  der Universität Osnabrück,Band 5. Göttingen: V & R 2015, 188 S.
  • Markus Walther:
    Zeit- und Ewigkeitsvorstellungen zwischen Philosophie, Theologie und Mystik.
    Eine vergleichende Fallstudie
    zu Christentum und Islam 
    anhand der Texte von Meister Eckhart und al-Gazali
    Epistemata. Würzburger Wissenschaftliche Schriften.
    Reihe Philosophie, Bd. 594.
    Würzburg: Königshausen & Neumann 2018, 584 S. (zugleich Diss. Universität Frankfurt/M. 2016)
    --- Rezension: hier
  • Mahmoud Zakzouk:
    Al-Ghazalis Philosophie im Vergleich zu Descartes.
    Islam und Abendland, Bd. 5
    Frankfurt/M. u.a.: Peter Lang 1992, 141 s. XIV S. - arabischer Text

                                                       



CC

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