Sonntag, 1. Januar 2023

Von Isis und Ischtar bis Maria: Himmelsköniginnen (aktualisiert)

Die Heilige Familie: Horus, Osiris, Isis - Louvre, Paris (Wikipedia)
Isis mit Horus,  Louvre, Paris
(Wikipedia.en)


Der Mittelmeerraum sowie der gesamte Mittlere Osten war bis zum Aufkommen der monotheistischen Religionen religiös durch Göttinnen und Götter geprägt. Diese traten oft als Paar auf. In Ägypten entwickelte sich sogar eine "Heilige Familie" mit Isis, Osiris und Horus

Das religiöse Grundmuster ist fast durchgängig die Mondgöttin in Verbindung mit dem Sonnengott. Besonders im Zweistromland und im Mittelmeerraum dominierten die Göttinnen mit ihrer unmittelbaren kosmischen Verbindung zu Mond und Sternen.
Astarte, Aschera (und Jahwe), InannaIschtar sind je nach Kulturraum die Namen dieser dominierenden Göttinnen, die den Zusammenhang von Himmel und Erde in besonderer Weise betonen. So ist auch die irdische Welt vom Göttlichen durchdrungen. Der Mensch muss mit seine Ritualen sich darauf einstimmen, die Götter durch Gebete und Opfer gnädig zu stimmen.


Ashdoda, kanaanäische, philistische Ton-Figurine,
12. Jh. v.u.Z.
Original im Israel-Museum, Jerusalem


Kudurru = Steindokument des Königs Meli-Shipak von Sumer (1186-1172 v.u.Z)
--- Musée du Louvre, Paris ---   
Der König präsentiert seine Tochter (rechts)
der Göttin Nannaya (auf dem Thron) 

darüber in der Mitte der Mondgott Nanna Sîn, Stadtgott von Ur,
daneben rechts Shamash (Sonne) und Ishtar (Stern)
Nanna Sîns Gattin ist Ningal,
seine Kinder sind unter anderem der 
Sonnengott UtuInanna 
und der Wettergott 
Adad.
Weitere Details: Herodote.net  >>>.
Die Situation einer vielfältigen Götterwelt änderte sich langsam um 1000 v.u.Z., als durch die eingewanderten [israelitischen] Wüstenstämme sich eine henotheistische und nach und nach monotheistische Religion neben den anderen Kulten etablierte. Hier entwickelte sich gegen die vorherrschenden kanaanäischen Religionen Tendenzen eine von Männerbildern geprägte Religion, die schließlich zu einer scharfen Abgrenzung des Einen-einzigen Gottes gegenüber den anderen Glaubenstraditionen führte. 


Ischtar-Tor , Babylon (6. Jh. v.u.Z.), Pergamon-Museum Berlin (Wikipedia)
Zur Entdeckung des  Ischtar-Tors durch Robert Koldewey: La porte d'Ishtar à Babylone
(Isabelle Grégor:, Herodote.net, 06.04.2021)

Davon berichtet die Bibel, z.B. beim Kampf des Propheten Elia
gegen die Baals-Religion (1. Könige 18-19).

Stephen C. Russell / Esther J. Hamori (eds.):

Mighty Baal - Essays in Honor of Mark S. Smith
Reihe: Harvard Semitic Studies, Band: 66 - Leiden: Brill 2020, XVI, 213 S., Index

Hinter
Baaldem [untergeordneten, aber dennoch mächtigen] Sonnen- und Regengott, stand jedoch
die in vielen
Variationen auftretende
mächtigere Himmelskönigin 
Astarte/Aschera/Ischtar.
S
ie beherrschte den gesamten mittelöstlichen Raum. 
Ihr Symbol war der Mond, zugleich ihre Waffe. Mit dem (Mond-)Bogen ging sie zwischen Himmel und Erde auf die Jagd. Darum wird die griechische Artemis bzw. die römische Diana auch als Jagdgöttin dargestellt. 
Auch im vorislamischen Arabien spielten diese Welten- und Himmelsgöttinnen eine große Rolle: Die Göttinnen in Mekka vor Mohammed


Astarte, 6. Jh. v. Chr. (Wikipedia)
Diese scheinbar verschiedenen Göttinnen sind seit der Steinzeit (ab ca. 35.000 v.Chr.) letztlich Varianten des Kultes der Großen Mutter (Magna Mater), der Urmutter und Weltgebärerin. Griechische Religionen und römische Adaptionen nahmen sie in ihr Pantheon unter verschiedenen Namen auf. Auch der Apostel Paulus machte mit ihr als Artemis unangenehme Bekanntschaft durch den Aufstand der Silberschmiede in der Metropole Ephesus, die für die vielen Pilger Devotionalen der Muttergöttin herstellten und durch die öffentlichen Predigten des Paulus ihre Existenz in Frage gestellt sahen (Apg. 19). 


S
Christine Thomas (eds.): 

Religion in Ephesos Reconsidered.
Archaeology of Spaces, Structures, and Objects. Novum Testamentum, Supplements, Band: 177. Leiden: Brill
2019, xxiv, 289 pp., indices 
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 Infos & Inhalt

Artemistempel in Sardes (wikipedia)
Giovanni Casadio, Patricia A. Johnston (eds.):
Artemis and Diana in Ancient Greece
and Italy:
 At the Crossroads between the Civic and the Wild
 

Am Scheideweg zwischen Zivilisation und Wildnis 
Cambridge Scholars 2021, XXVI, 324 pp.


Artemis-Kybele, Museum Selcuk-Ephesus (Wikipedia)
Kybele, römische Kopie
Kapitolinische Museen
(Wikipedia)
Das Christentum - aus dem Judentum hervorgegangen - hatte nämlich den starken Mutterkulten kaum etwas entgegenzusetzen. Die geringe Repräsentanz des göttlich Weiblichen nötigte die Christen in der Auseinandersetzung mit den "heidnischen" Kulten zur verstärkten Betonung der Jungfrau Maria. Sie hatte schließlich einen Gottessohn geboren, der nun zugleich mit dem "Vater" angebetet und verehrt werden sollte. Eine gewisse weibliche "Verstärkung" kam in den östlichen Regionen des Christentums dadurch hinzu, dass der Heilige Geist als dritte "Person" der entstehenden Trinitätslehre z.T. weiblich, nämlich als Sophia, als Weisheit Gottes verstanden wurde.
Maria als Gegenpol zu den weiblichen Gottheiten nahm traditionsgeschichtlich ihren Weg von Bethlehem und Nazareth nach Ephesus. Im Zusammenhang mit der Tradition des Johannes-Evangeliums könnte sie eine "Etappe" in Damaskus gehabt haben. Dies signalisiert u.a. die dortige Marienkirche (Mariamitische Kathedrale). Bei Ephesus, dem Zentrum des Kybelekultus, stirbt Maria der Legende nach. Dort wird bis heute das Haus der Maria als Heilige Stätte verehrt.

Haus der Mutter Maria bei Ephesus (Wikipedia)
Literatur: Theodora Jenny-Kappers:
Muttergöttin und Gottesmutter in Ephesos.
Von Artemis zu Maria. Zürich: Daimon 1986, 199 S., Abb., Register

Inhaltsverzeichnis: hier
Luna mit der Mondsichel - 
Kapitolinische Museen, Rom 
(Wikipedia.en)
Die liberale römische Religionspolitik tat übrigens das ihre dazu, dass die Mutterkulte schon längst in andere Teile des Imperium Romanum gekommen waren.

Es entstand sogar ein kleines Heiligtum der Kybele im wichtigen römischen Legionslager Castrum Novaesium (= Neuss). Der sog. Blutgraben,"Fossa Sanguinis," könnte mit den Opferungen für die Göttin zu tun gehabt haben. 

Bei der zumehmenden kirchlichen Verehrung Mariens als Gottesgebärerin, Gottesmutter und Himmelskönigin - besonders im Mittelalter -  wurden ihr zwar Altäre gewidmet, jedoch blieb sie immer der Trinität von Gottvater, Sohn und Heiligen Geist untergeordnet. Allerdings flossen und fließen in den Marienkult weltweit Traditionen der Vorgängerreligionen ein. Dies zeigt sich in der Gegenwart besonders in der Marienverehrung Lateinamerikas.

Vgl. Virgil Elizondo: Unsere Liebe Frau von Guadelupe.
Evangelium für eine neue Welt.
Aus dem Englischen von Karl Pichler. Luzern: Ed. Exodus 1999, 158 S.



Marienleuchter im Dom von Wetzlar 



Dunque a te diamo lodi
So wollen wir dich loben,
Siegreiche Himmelskönigin, deren Macht
Heute die Fesseln gegenwärtiger Not bricht,
Und in der Not, die noch kommen mag,
Uns aufhebt, wo wir fallen,
Unsere Hoffnung, unser Heil

Aus der Kantate: 
Donna, che in ciel di tanta luce splendi - 
Herrin, die am Himmel mit so viel Licht erstrahlt  - von Georg Friedrich Händel (1685-1759) - HWV 233


Kloster Eberbach: Maria in der Mondsichel


















Maria - Jungfrau- Gottesmutter - Himmelskönigin
  • Maria (ökumenisches Heiligenlexikon mit vielen Bildbeispielen)
  • Jacques Bonvin: Vierges Noires. La réponse vient de la Terre.
    Paris: Dervy 1988, 304 pp.
  • Jean Hani: La Vierge Noire et le Mystère Marial.
    Paris: Guy Trédaniel 1995, 177 pp., illustr.
  • Peter Leander Hofrichter (Hg.):
    Marienfrömmigkeit in Ost und West –
    Auf der Suche nach der Seele Europas.

    Studientagung der PRO ORIENTE Sektion Salzburg,
    7. und 8. Oktober 2005. Ex Oriente Bd. 30
    Innsbruck-Wien: Tyrolia 2007, 342 S.
  • Josef Imbach: Marienverehrung zwischen Glaube und Aberglaube. 
    Düsseldorf: Patmos 2008, 252 S., Abb.
  • Steven McMichael and Katie Wrisley Shelby (eds.):
  •  Medieval Franciscan Approaches to the Virgin Mary.
    Mater Sanctissima, Misericordia, et Dolorosa.

    Serie:The Medieval Franciscans, Band: 16. Leiden: Brill 2019, XVI, 467 pp., index
  • Giovanni Miegge: Die Jungfrau Maria. Studie zur Geschichte der Marienlehre.
    Kirche und Konfession, Bd. 2. Göttingen: V & R 1962, 218 S., Register
  • Elisabeth Moltmann-Wendel / Hans Küng / Jürgen Moltmann (Hg.):
    Was geht uns Maria an?
  • Christa Mulack: Die geheime Göttin im Christentum. Reihe Symbole.
    Stuttgart: Kreuz 1985, 246 S.
  • George H. Tavard: The Thousand Faces of the Virgin Mary.
    Collegeville, MN (USA): Liturgical Press 1996, VIII, 275 pp., index
  • José María Vigil: María de Nazaret.
    Materiales pastorales para la comunidad cristiana
    Madrid: Edición Paulinas 1985, 2. édicion , 172 pp.
    --- Download >>>
    Marina Warner: Maria: Geburt, Triumph, Niedergang,
    Rückkehr eines Mythos?
  • München: Trikont 1982, 483 S., Abb., Register
Regina Coeli Ora Pro Nobis / Himmelskönigin bete für uns
Neoromanische Marienskulptur über dem Eingangsportal
von St. Blasius in Balve (Sauerland)

Weitere Informationen:
  • Valérie A. Abrahamsen: Women and Worship at Philippi.
    Diana/Artemis And Other Cults in the Early Christian Era.
    Portland (Maine, USA): Astarte Shell Press 1995, 255 pp., glossary, index
  • Yolanda ALBA: Sacerdotas. La mujer en las diferentes liturgias y religiones.
    Córdoba: Almuzara 2018, 336 pp.
    (= Priesterinnen. Die Frau in den verschiedenen Kulthandlungen und Religionen)
    Informationen deutsch und spanisch >>>
  • Ilhan AKSIT: The Aegean Mythology. The Story of the Two Sides
    Handbook Series 13.
    Ankara: Ministry of Culture and Tourism Publications 2010, 177 pp., illustr.
  • Helgard BALZ-COCHOIS: Inanna. Wesensbild einer unmütterlichen Göttin.
    Studien zum Verstehen fremder Religionen, Bd. 4.

    Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn 1992, 240 S., Register
  • Franz BAUMER: Der Kult der Großen Mutter.
    Schauplätze einer mythischen Welt. 

    München: Langen Müller 1993, 352 S., Abb., Register
  • Jean Bottéro: La plus vieille religion en Mésopotamie.
    folio histoire 82. Paris: Gallimard 1998, 443 pp., index
  • Jonathan Cott: Isis and Osiris.  Exploring the Goddess Myth.
    New York: Doubleday 1994, 209 pp., illustr., index

    --- Kurzkommentar: hier
  • Andreas Feldtkeller: Im Reich der syrischen Göttin. E
    ine religiös plurale Kultur als Umwelt des frühen Christentums.

    Studien zum Verstehen fremder Religionen, Bd. 8
    Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn 1992, 240 S., 333 S.
  • Brigitte Gronenberg: Die Götter des Zweistromlandes.
    Düsseldorf/Zürich: Patmos 2004, 290 S., Abb., Index
  • Sharukh Husain: The Goddess.
    An Illustrated Guide to the Divine Feminine. One Spirit Living Wisdom Library.
    London: Duncain Baird 1997, 184 pp., index 2. Aufl. 2003
    --- Deutsch: Die Göttin. Das Matriarchat, Mythen und Archetypen,
         Schöpfung, Fruchtbarkeit und Überfluss. 
         Köln 2001, 184 S., Abb., Register 
    --- Ergänzende Informationen: hier

  • Isis-Kult: Seine religionspolitische Bedeutung im Mittelmeerraum
    (Buchrezension)
  • Karen L. King (ed.): Women and Goddess Traditions
    in Antiquity and Today.

    Minneapolis, MN (USA): Augsburg Fortress 1997, 450 pp., index
  • Caitlin Matthews: Sophia - Göttin der Weisheit.
    Aus dem Englischen von Clemens Wilhelm
    Solothurn / Düsseldorf: Walter 1993, 424 S., Index
  • Florence Quentin: Isis l'Éternelle. Biographie d'un mythe féminin. Paris: A. Michel 2012, 260 pp.
  • T. Sugimoto: Transformation of a Goddess
     Ishtar – Astarte – Aphrodite.
    Orbis Biblicus et Orientalis 263. Fribourg (CH): Academic Press /
    Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2014, XIII, 243 S., Abb., Indices

    Rezension: hier
Reinhard Kirste

Lizenz: CC




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