Montag, 12. November 2018

Moral im Schlingerkurs - barockes Lebensgefühl zwischen Liebe, Macht und Heuchelei

Cembalo = Instrumenten-Ausstellung Herne 2018
Die 43. Tage Alter Musik in Herne  vom 8.-11. November 2018 standen unter dem Motto der 7 Todsünden:
1. Superbia:   Hochmut 
2. Avaritia: Geiz 
3. Luxuria:  Ausschweifung, 
4. Ira: Jähzorn 
5. Gula: Völlerei 
6. Invidia: Neid 
7. Acedia: Trägheit des Herzens

Präsentiert wurde Musik vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert zu Laster und Moral und den
7 tugendhaften Gegenbildern: 

Die drei göttlichen Tugenden
1. Glaube: fides -- 2. Liebe: caritas -- 3. Hoffnung: spes
Die vier antiken platonischen Kardinaltugenden
4. Klugheit: prudentia -- 
5. Gerechtigkeit: iustitia

6. Tapferkeit: fortitudo -- 7. Mäßigung: temperantia 

Programmbuch mit Informationen und Gesangstexten:
WDR 3 (Hg.): Tage Alter Musik in Herne, 08.-11. November 2018.
Todsünden Laster & Moral im Spiegel der Musik vom Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert.
Konzerte & Musikinstrumentenmesse. Köln und Herne 2018, 257 S., Abb.



Hieronymus Bosch: Die 7 Todsünden und die 4 letzten Dinge
Hölle, Sterben, Jüngstes Gericht, Himmel
(Wikipedia)

In Herne wurde am 09.11.2018 "Amare e fingere" (Lieben und Heucheln) von Alessandro Stradella (Siena 1676) nach 342 Jahren erstmalig wieder aufgeführt. In einer ähnlichen Thematik zeigte sich "L'Olimpiade" von Antonio Vivaldi (Venedig 1734) am 11.11.2018. Beide Opern standen unter den Stichworten von "Wollust" und eröffneten die ganze Bandbreite von List, Täuschung, sexueller Begierde, gesellschaftlicher Verwirrungen sowie persönlicher und politischer Gefährdungen.  
Während es bei "Amare e fingere" so scheint, als rechtfertige Täuschung, List und Heuchelei, um an das Ziel der Liebe zu kommen, macht die "Olympiade" Vivaldis deutlich, wie die sexuelle Begierde und Macht-Wollust eines Einzelnen bis zum Mord des Gegners führen können. Man ahnt, dass Vivaldi hier den Herrschenden den Spiegel vorhält, um sie an ihre politische Verantwortung für die Einhaltung des Rechts, der Gerechtigkeit und des gesellschaftlichen Friedens zu erinnern.
  • Leben und Wirken von Antonio Vivaldi (1678 - 1741): hier
  • L'Olimpiade: Die antiken olympischen Spiele bilden den Rahmen für eine Dreiecks-Liebesgeschichte dieser Oper. Dabei wird wie heute die Wettkampfmoral systematisch untergraben, hier durch Bruch des Keuschheitsgelübdes während der Spiele und Täuschung über die wahre Identität eines Wettkämpfers. In der Oper bekommt der falsche Sieger dann doch den richtigen Siegespreis, nämlich die eigene Geliebte , aber das erpresserische Ränkespiel hätte auch böse ausgehen können. Und die politischen Drahtzieher lassen moralisch auch zu wünschen übrig ...
  • Mehr zum Inhalt von "L'Olimpiade": hier (Wikipedia)
  • Die gesamte Oper L'Olimpiade: hier
    (Mária Opera 2012, YouTube)
Ruinen des Philippeion im griechischen  Olympia (wikipedia.en)

Was bei Stradella und Vivaldi unter wohltönenden, aber auch dissonanten Klängen barocker Musik zum Ausdruck kommt, erinnert daran, wie sehr List und Täuschung zuerst durchaus verständlich scheinen, um zum ersehnten Ziel zu gelangen. In dieser Szenerie werden zugleich die Gefährdungen und die moralischen Abgründe offenkundig, in die alle stürzen können.

In der chinesischen Philosophie und Ethik haben deshalb die 36 Strategeme eine wesentliche Rolle gespielt und auch in der arabischen Welt hat die List durchaus ihren Platz, allerdings unter den Bedingungen koranischer Vorgaben für ein an Gott orientiertes menschliches Miteinander. Aber auch in Europa - und keineswegs nur in der Barockzeit - haben sich ähnliche Strukturmuster von List, Täuschung und Heuchelei im Horizont menschlichen Zusammenlebens entwickelt.
Immer treten gleichermaßen Chancen und Risiken bei solchen Strategien hervor. Die Ziele liegen in der Gestaltung des Lebens (ars vivendi), den Möglichkeiten des Überlebens, aber auch in den riskanten Versuchen zur Machterweiterung.

Mehr zu den 36 chinesischen Strategemen und den Listen der Araber
sowie den persönlichen und politischen Geheimhaltungsstrategien in Europa: hier  



CC




Keine Kommentare: